Reise zum Zentrum des Mondes (The Adventure Company) geschrieben von Aarni Kuoppamäki
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Der große Krieg war eine gute Zeit für den Kanonenclub von Baltimore. Ein ums andere Mal übertrafen sich die Mitglieder beim Bau immer größerer, zerstörerischerer Mörser und Haubitzen, um immer bessere Geschosse durch immer härtere Panzerplatten zu treiben. Doch mit dem Ende des Krieges erlosch die Nachfrage nach neuen Kanonen und die Konstrukteure des Clubs blieben ohne Beschäftigung. Bis schließlich der Clubpräsident Barbicane die zündende Idee hatte: Wir schießen ein Projektil auf den Mond. Dafür gossen die Amerikaner eine 274 Meter lange Kanone, die Columbiade, senkrecht in den Erdboden von Florida. Als Passagiere für das Mondgeschoss meldeten sich der Franzose Michel Ardan, Präsident Barbicane und dessen ärgster Feind, der Panzerplattenbauer Captain Nicholl. Soweit die Vorgeschichte des neuen Grafik-Adventures von Kheops Studio: "Reise zum Zentrum des Mondes". Sie stammt aus dem Roman "Von der Erde zum Mond" von Jules Verne. Der französische Schriftsteller schickt die drei Astronauten im zweiten Teil auf eine "Reise um den Mond" und zurück zur Erde. Im Spiel läuft nach Abschuss der Mondkapsel alles anders. Science-Fiction im 19. Jahrhundert Michel Ardan erwacht aus seiner Bewusstlosigkeit, der Start muss erfolgreich gewesen sein. Er dreht die Lampe heller und sieht seine Mitreisenden auf den Polsterbänken der Mondkapsel liegen. Tot. Barbicane erschossen, Nicholl vergiftet. Also landet der Franzose allein auf dem Erdtrabanten und findet dort das Mondvolk der Seleniten. Genau die richtige Aufgabe für einen Abenteurer wie Michel Ardan:
Dieser Mann erforscht also die fremdartige Kultur der Mondbewohner und sucht nach einem Weg, zur Erde zurückzukehren, um den Menschen des 19. Jahrhunderts von seinen Entdeckungen zu berichten. Dafür muss er zunächst die lunare Flora bändigen und die Sprache der Seleniten in Schrift und Klang erlernen. Die Erzählung weicht zwar von der Romanvorlage ab, dennoch trägt "Reise zum Zentrum des Mondes" den Charme frühester Science-Fiction-Literatur in sich. Selbst zu seinem Tod vor fast genau 100 Jahren wird Jules Verne Schwerelosigkeit und Vakuum im Weltall kaum richtig verstanden haben. Dass man es heute besser weiß als er damals, hindert niemanden daran, als Michel Ardan stehend seinen Ballast aus der offenen Heckluke der Mondkapsel zu werfen. Schließlich ist man auch schon mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 40.000 Stundenkilometern zum Mond geschossen worden. Die offensichtliche Unwissenschaftlichkeit der Geschichte gibt ihr eine drollige Note, stören sollte man sich daran nicht. Michel Ardans Erklärung, weshalb man die Mondbewohner nicht sieht, liefert eine Kostprobe dessen, wie sich wohl Star Trek für unsere Raumfahrer zukünftiger Generationen anhören wird:
Ordnung und Mathematik Da die Weggefährten tot sind, ist Ardans Mondreise eine ziemlich einsame Angelegenheit. Man sieht die Welt aus der Ich-Perspektive, der Blick ist an jedem Standpunkt frei drehbar. Der Mauszeiger steht immer in der Mitte des Bildes. Wo der Bewegungs-Cursor angezeigt wird, kann man sich zum nächsten Standpunkt klicken, eine Blende später ist man dort. Der Aktions-Cursor zeigt Handlungsmöglichkeiten, der Aufhebe-Cursor lässt uns Gegenstände einsammeln. Per Rechtsklick erscheint das Inventar mit zwölf mal achtzehn Plätzen. Dort legt man Gegenstände ab, kombiniert sie miteinander und wählt sie aus, um sie mit stationären Objekten der Mondwelt zu verknüpfen. Ordnung ist essenziell, damit die Vielzahl der Gegenstände nicht unübersichtlich wird. Über den Inventarbildschirm sind auch Ardans Aufzeichnungen erreichbar. Sie resümieren die Spielziele und geben sinnvolle Hinweise für die Lösung der Rätsel. Bei den Denkaufgaben ist auch alle Unterstützung willkommen. Die Rätsel sind meist logisch, aber schwierig. So gerät man zum Beispiel auf einen Hügel, der mit Mondpflanzen in fünf Farben bewachsen ist und müssen folgern, welche Pflanzenkombination zwei bestimmte Wächterpflanzen verschreckt oder welches Pflanzenkompott wohl einem Mondbewohner an einer bestimmten Stelle des Hügels schmeckt. Für die Lösung der mathematischen Rätsel reicht das kleine Einmaleins nicht aus; wer zweistellige mit dreistelligen Zahlen auf dem Taschenrechner addiert und das große Einmaleins fürchtet, hat keine Freude an der Mondreise. Auch manche nicht-mathematische Aufgabe lässt sich besser mit Stift und Papier ausknobeln. Umso größer die Freude, wenn ein schwieriger Test bestanden ist und das sonst so statische Bühnenbild zum Leben erwacht. Die Geschichte wird nach gelösten Aufgaben in Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit gesprochenem Text erzählt, selten gibt es eine kurze Videosequenz. Die Reihenfolge der Geschehnisse ist so frei wie die der Aufgaben. Kommt man an einer Stelle nicht weiter, sucht man sich ein anderes Rätsel. Das lässt viel Raum für Entscheidungen und verringert die Gefahr des Hängenbleibens an einem einzelnen Problem, jedoch ist die "Reise zum Zentrum des Mondes" so insgesamt ziellos. Hinweise, was nun zu tun sei, sind selten. Allzu häufig braucht man das Tagebuch oder die Gegenstandbeschreibungen im Inventar, um erst zu verstehen, was die Aufgabe ist. Immerhin gibt es für Rätsel mehrere Lösungswege, und fehlende Gegenstände können im späteren Spielverlauf für Mondgeld eingekauft werden. Besser wären ein sechster, siebter und achter Gesprächspartner und eine zusammenhängende Erzählung. Der Mangel an Kommunikation liegt daran, dass Michel Ardan in der Geschichte erst Selenitisch studieren muss. Die Schriftsprache fliegt dem Franzosen nur so zu, gesprochenes Mondisch lernt er in einer Art Klang-Memory durch das Erkennen zusammengehöriger Töne. Die mangelnde Führung und der hohe Schwierigkeitsgrad des Spiels sind verzeihlich. Wahrlich misslungen ist Kheops Studio nur die Sanktionierung des Spielers. Das Negativbeispiel ist die erste Szene: Michel Ardan untersucht gerade in der Mondkapsel die Leichname seiner Gefährten, als der Sauerstoff knapp wird. Eine Sanduhr wird eingeblendet, und sofern man nicht darauf kommt, ein Buch aus dem Schrank zu nehmen, hinter dem das Sauerstoff erzeugende Kaliumchlorat versteckt ist, erstickt Michel. Man sieht ihn tot auf einer Schwarz-Weiß-Zeichnung, dann geht es weiter, und die Sanduhr läuft von neuem. Später muss man in einem Klickspiel über den Abgrund springen. Man stürzt ab, aber es ist egal. Man fällt in einen Aufzugschacht - egal. Sprengt sich in die Luft - egal. Als Spiel ohne Regeln sind diese Nebenaufgaben unmotivierend und überflüssig. Hier hätte der Abenteurer Ardan mehr Gefahr verdient ...
Technisch Durchschnitt Die vorgerenderte Spielgrafik in zweiter und dritter Dimension ist nett. Landschaft und Bewohner des Mondes sind fantasievoll entworfen, sehen aber nicht nach Mond aus. Die Schauplätze harren detailreich und bunt einer Bewegung, die nicht kommt. Zeitgemäß war solch eingefrorene Schönheit, als "Myst" erschien - also vor zehn Jahren. Heute kann man zumindest geskriptete Bewegung erwarten sowie stärkere Interaktion zwischen Charakter und Spielwelt. Die Zeichnungen, die die Geschichte weiterführen, sind nicht farbig, wirken aber gerade deshalb alt und passen zur Jules-Verne-Atmosphäre. Die gelungenen Videosequenzen sind kurz und selten. Die Musik stammt von Yan Volsy, der außer einem Dutzend Spiele-Soundtracks auch schon für die Bühne und das Fernsehen komponiert hat. Verspielt und leicht, klingt sie wie alte Jahrmarktmusik, nur geheimnisvoller, und wird dabei niemals aufdringlich. Die Geräusche sind voller Ideen und außergewöhnlich gut in die Spielvorgänge eingebaut, stammen aber hörbar aus dem Computer. Die Sprachausgabe hat deutliche Macken. Der Erzähler spricht eher unbewegt mit französischem Akzent, der Franzose Arden wird ähnlich mau auf Hochdeutsch gelesen. Außerdem stimmt der gesprochene Text oft mit den Untertiteln nicht überein.
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