Gothic 3 (JoWooD) geschrieben von Sebastian E.R. Hör und Alexander Busse
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Ein mittlerweile gängiges Phänomen im Zusammenhang mit Computerspielen ist der sogenannte Hype. Ein Hype entwickelt sich beispielsweise um Spiele, die entweder wegen ihrer bombastischen Grafik versprechen, besondere Knaller zu werden, oder, weil ihr Spielkonzept besonders innovativ werden soll, oder, und das ist am häufigsten der Fall, weil sie Fortsetzungen zu äußerst erfolgreichen Titeln sind. Siehe "Half-Life 2", "Anno 1701" oder eben "Gothic 3". Seine beiden Vorgängerspiele begeisterten Spieler und Fachpresse gleichermaßen durch packende Hintergrundstory, überzeugendes Gameplay und (für ein Rollenspiel) überdurchschnittliche Grafik. Auf der anderen Seite waren die beiden ersten Teile jedoch auch wegen ihrer groben Bugs in der Verkaufsversion berüchtigt. Dennoch, die Erwartungen an den dritten Teil der Serie waren immens. Setzt "Gothic 3" die Tradition der Vorgänger in gutem wie in schlechtem Sinne fort? Erfahren Sie es in unserem Test. Der William Wallace von Myrtana Eigentlich sollte der namenlose Held unliebsame Überraschungen gewohnt sein. Wann immer er dachte, er habe gerade das Schlimmstmögliche erlebt und nun wende sich alles zum Guten, wurde er eines Besseren belehrt. Zuerst bezwingt er den Schläfer, beseitigt die Barriere - und wird dafür mit einem Steinschlag belohnt, den er nur dank Xardas' Hilfe überlebt. Dann rettet er Khorinis vor einer Invasion von Drachen und segelt mit dem Schiff gen Festland, nur um festzustellen, dass der Krieg gegen die Orks, dessentwegen er eigentlich überhaupt erst in die Geschehnisse hineingeraten war, mittlerweile vorüber ist. Doch nicht etwa deshalb, weil die Paladine und Feuermagier das Kernland Myrtana erfolgreich gegen die anstürmenden Orkhorden verteidigen konnten, sondern weil sie stattdessen auf mysteriöse Weise all ihre magischen Kräfte eingebüßt haben. So gelang es den Orks, Stadt um Stadt des Königreiches zu erobern und die Hauptstadt der Menschen, Varant, zu belagern. In einem Akt der Verzweiflung erschufen die Magier König Rhobars eine magische Barriere ähnlich derjenigen, die einst das Minental von der Außenwelt isoliert hatte. Doch auch dieser energetische Schirm konnte nicht verhindern, dass die Orks nun in allen Städten Myrtanas die Kontrolle übernahmen und die Menschen versklavten. Zu verdanken ist diese Misere übrigens einem alten Freund und Saufkumpan des Helden: Xardas. Ihre Karriere als Retter (dieses Mal im größtmöglichen Maßstab, nicht nur, wie zuvor, eines Tals oder einer Insel, sondern gleich eines ganzen Kontinents) beginnt mit der Ankunft der siegreichen Helden an der Küste Myrtanas, genauer gesagt, in einem kleinen Städtchen namens Ardea. Dort angekommen stürzt man sich, als Veteran des Minentals im Töten von Orks schon äußerst bewandert, auf die orkischen Besatzer und richtet ein kleines Blutbad an. Im Verlauf des ersten Scharmützels zwischen dem Helden und seinen Mitstreitern auf der einen und den Orks auf der anderen Seite lernt man bereits die erste der vielen Neuerungen von "Gothic III" im Vergleich zu seinen Vorgängern kennen: die Einbindung der Maus als Steuerungsinstrument. Kämpfte man früher mit Strg und den Pfeiltasten gegen seine Gegner, so benutzt man hierzu nun die Maus. Mit einem kurzen Linksklick führt man einen normalen Schlag aus, mit einem Rechtsklick pariert man und längeres oder kürzeres Drücken einer der beiden Tasten oder die Kombination aus Rechts- und Linksklick führen weitere Angriffs- beziehungsweise Verteidigungstechniken aus. Nach kurzer Eingewöhnungszeit geht der neue Kampfmodus in Fleisch und Blut über und die Orks in Ardea werden gnadenlos niedergestreckt. Im Anschluss daran dürfen Sie, wie schon aus den Vorgängern gewohnt, die Leichen ihrer Gegner fleddern und eventuell nützliche Gegenstände einsacken. Außerdem können Sie natürlich mit den nun befreiten Einwohnern von Ardea sowie Ihrer Mannschaft, die mit Ihnen in Myrtana angekommen ist, ein kleines Schwätzchen halten. Die großen Umwälzungen: Vom Gameplay und der Steuerung Eines gleich vorweg: "Gothic 3" ist komplexer geworden - aber auch übersichtlicher. Während man in den Vorgängern beispielsweise die einzelnen Diebesfähigkeiten, wie Taschendiebstahl und Schlösser knacken, unabhängig von anderen Talentwerten erlernen konnte, so ist dazu nun eine entsprechende Grundfertigkeit in den Diebeskünsten erforderlich. Ebenso sind neue Fertigkeiten und Spezialfähigkeiten hinzugekommen, die es vorher nicht gab, beispielsweise die Resistenz gegen Gift, Kälte und Hitze, die eine entsprechend höhere Widerstandskraft gegen Zauber oder Waffen der jeweiligen Kategorie zur Folge haben - das war früher nur durch bestimmte Rüstungen, Ringe oder Amulette möglich. Zudem kann der Held jetzt nicht nur gehen und laufen, sondern auch sprinten; eine Fähigkeit, die insbesondere bei der Flucht vor einem übermächtigen Gegner oder der Überbrückung größerer Entfernungen äußerst nützlich ist. Wie lange man sprinten kann, hängt übrigens von einem neuen Grundwert ab: der Ausdauer. Sie bestimmt nicht nur, wie lange der Charakter seinen Gegnern davonlaufen kann, sondern auch, wie lange er im Nahkampf bleiben kann, ohne durch Erschöpfung an Effizienz zu verlieren. Ebenfalls neu sind diverse Spezialfähigkeiten, etwa Orktöter, die erhöhten Schaden gegen bestimmte Gegnerarten ermöglichen. Außerdem wird das Geschick im Umgang mit einem Waffentyp (beispielsweise Schwerter oder Äxte) nicht mehr wie in "Gothic II" in Prozentwerten gemessen, sondern in Fertigkeitsstufen. Den einfachen Schwertkampf beherrscht man beispielsweise schon von Beginn an, ab einem gewissen Stärkewert ist man dann in der Lage, den verbesserten und schließlich den meisterhaften Schwertkampf zu erlernen. Gleiches gilt natürlich für Bögen, Armbrüste und Äxte. Des Weiteren kann man jetzt auch endlich mehr tun, als lediglich eine Einhand- oder Zweihandwaffe lustig durch die Gegend zu schwingen. In "Gothic 3" ist es auch möglich, einen Schild zu tragen, um die Paradechance zu erhöhen oder mit zwei Schwertern gleichzeitig zu kämpfen, was nicht nur optisch viel hermacht, sondern auch ordentlich Schaden verursacht. Generell wirkt das Spiel wesentlich übersichtlicher als die beiden Vorgänger. Durch die Verwendung der Maus als Haupteingabemedium gestaltet sich die Navigation in den einzelnen Menüs deutlich einfacher - eine Beschreibung der Talente erhält man, wenn man mit der Maus darüberfährt; ebenso ist es möglich, die Missionen im Questlog per Linksklick den entsprechenden Städten, aus denen man sie bekommen hat, zuzuordnen. Im Quest-Bildschirm wird außerdem angezeigt, wie gut der Ruf des Helden bei den entsprechenden Fraktionen im Spiel ist - denn anders als in den ersten beiden Teilen schließt man sich nicht mehr einer Partei dezidiert an, sondern erfüllt deren Aufträge und steigert so sein Ansehen - es steht Ihnen also völlig frei, ob Sie sich für die Seite der Orks, Menschen, Waldläufer, Assassinen, Nomaden oder Nordmänner entscheiden. Zudem bekommt man für die Erfüllung von Quests auch noch Rufpunkte in der jeweiligen Stadt, in der man die Mission erhalten hat. So toll, wie es sich anhört, ist es allerdings nicht - das System hat mit einigen Tücken zu kämpfen. Zunächst einmal beschränkt sich das Questlog nur noch auf die Dialoge, die der Charakter mit dem Quest-Geber geführt hat, und gibt die relevanten Auszüge aus dem Gespräch wieder, anstatt konkret anzuzeigen: "Gehe nach X und töte Y Wölfe". Des Weiteren kommt es bisweilen vor, dass Teile des Gesprächs, in denen wichtige Informationen enthalten waren, einfach nicht im Questlog auftauchen. So werden Aufgaben, bei denen konkrete Richtungsangaben fehlen, wesentlich erschwert. Hinzu kommt, dass man für die Befreiung einer Stadt zwar Rufpunkte bei den Rebellen erhält, jedoch keine entsprechenden Abzüge bei den Orks. Man kann also, wenn man will, durchaus die eine Hälfte der Städte befreien, während man sich bei der anderen auf die Seite der Orks schlägt. Klar - das werden die wenigsten machen wollen, denn nur ab einem bestimmten Ruf erhält man bessere Rüstungen oder, im Falle der Assassinen, Zugang zur Hauptstadt Isthar, in der man den meisterhaften zweihändigen Schwertkampf lernen kann, aber möglich ist es. Ebenso unlogisch ist auch, dass man in Rebellenrüstung gemütlich in den von den Orks kontrollierten Städten herumspazieren kann und sogar, sobald man einen Ruf von 75 in der jeweiligen Stadt hat, zum Anführer vorgelassen wird. Das kennt man von "Gothic II" anders - wehe, man hat sich beispielsweise im Piratenlager der Addonwelt in Banditenrüstung gezeigt. Ein anderes Ärgernis ist das Kampfsystem: Wieso wird man mit den Orks in Ardea spielend fertig, dann aber außerhalb der Tore der Stadt von einem Wildschwein in Stücke gerissen, gegen das man nicht die geringste Chance hat? Solche Probleme treten gerade zu Anfang immer wieder auf: Da befreit man ohne größere Mühen eine Stadt von den Orks, nur um dann beim Pflanzensuchen von zwei Wölfen niedergestreckt zu werden, die man zu spät hat kommen sehen. Das ist natürlich auf Dauer äußerst frustrierend und hält teilweise davon ab, die Wildnis genauer zu erkunden. Ein Grund für die höchst unterschiedlichen Siegchancen ist, dass man bei humanoiden Gegnern in der Lage ist, zu parieren und die Möglichkeit hat, ihren Angriffen auszuweichen, während manche Wildtiere eine so hohe Angriffsgeschwindigkeit besitzen, dass man durch unausgesetzte Attacken dahingerafft wird, bevor man auch nur die Möglichkeit hat, selbst zuzuschlagen. Andererseits gibt es ein probates, wenngleich äußerst unlogisches Mittel, das eigene Überleben zu sichern: Geht man während eines Kampfes ins Inventar, schlägt der Gegner zwar weiterhin auf den Charakter ein, verursacht jedoch keinen Schaden mehr und man kann in aller Ruhe seine Gesundheit wiederherstellen. Durch diese Methode kann man, wenn man es geschickt anstellt, die gesamte Spielwelt säubern, ohne auch nur einmal zu sterben. Die großen Feldzüge: Vom Töten und Weiterziehen Die Spielwelt von "Gothic 3" ist im Vergleich zu den Vorgängern riesig und unterteilt sich in drei große Landschaftstypen: Im Süden die Wüste Varant, in der Mitte die idyllischen Wälder Myrtanas und im Norden die eisigen Gebirge Nordmars. Überall gibt es andere Tiere und Pflanzen zu bestaunen, Fähigkeiten zu erlernen, Waffen zu finden - doch der erste Eindruck eines schier unendlichen Areals trügt. Denn ehe man sich versieht, ist man auf der Suche nach einem bestimmten Questziel bereits in der nächsten Stadt gelandet. Die Entfernungen wirken auf der Karte wesentlich größer, als sie in Wirklichkeit sind, was aber auch nicht weiter störend ist, da man alle Wege zumindest einmal zu Fuß zurücklegen muss, bevor man einen Teleportstein bekommt, der ein direktes Reisen zwischen den Städten ermöglicht. Apropos Quests: Sie sind eine der großen Enttäuschungen von "Gothic 3". Ist man am Anfang noch begeistert von der Vielfalt der Möglichkeiten und begierig, die Haupthandlung sowie die diversen Nebenstränge zu erkunden, so stellt man relativ schnell fest, dass sich zwar die Beschreibungen der Quests von Stadt zu Stadt unterscheiden, sie im Endeffekt aber immer einer bestimmten Kategorie zugeordnet sind, etwa: "Finde Gegenstand X", "Töte Y Kreaturen" oder "Eskortiere Person Z". Insbesondere Aufgaben der letzten Rubrik sind bisweilen eine echte Nervenprobe, denn die NPCs, die man begleiten soll, stellen sich manchmal über die Maßen dämlich an. Angriffslustige Tiere, die auf dem Weg zum Zielort liegen, nehmen sie überhaupt nicht wahr und laufen dicht an ihnen vorbei, woraufhin sie von diesen natürlich angegriffen werden. Zu allem Überfluss sind die wenigsten NPCs in der Lage, sich gegen einen Wolf im Nahkampf zu behaupten und so bleibt Ihnen oft nicht viel anderes übrig, als sich selbst einer Horde Tiere entgegenzustellen, bevor sie Ihren Schützling zerfleischt. Aber auch ansonsten lässt der Abwechslungsreichtum viel zu wünschen übrig: Schlägt man sich auf die Seite der Rebellen, hat man die Aufgabe, alle Städte Myrtanas zu befreien und sich zu König Rhobar durchzukämpfen. Was am Anfang noch Spaß macht und reizvoll klingt, wird spätestens ab der dritten Stadt zur lästigen Routine: Ruf auf 75 bringen, Zugang zum Ork-Anführer der Stadt bekommen, ihn töten, alle anderen Orks ebenfalls - fertig. Die großen Frustmomente: Von Bugs und Abstürzen Eine der oben gestellten Fragen lässt sich mit einem entschiedenen "ja" beantworten: "Gothic 3" setzt die von seinen Vorgängern herrührende Tradition der ärgerlichen Bugs in besonders frustrierender Weise fort. Ein Beispiel offenbart dieses Ärgernis ganz zu Anfang bei der Befreiung von Kap Dun: Wenn man die Quest-Reihenfolge nicht genau einhält oder bestimmte Quests auslässt, ist es nicht möglich, zusammen mit dem Paladin Wenzel gegen die Orks zu kämpfen. Im schlimmsten Fall muss man sogar gegen Wenzel fechten, obwohl man sich eigentlich mit ihm verbündet hatte - ärgerlich. Zudem sorgen diverse Abstürze für Ärger, und regelmäßige Aufhänger bei Rechnern, die die Mindestanforderungen nur knapp erfüllen, können den Spielspaß erheblich trüben. Besitzt man eine Soundkarte von Creative, hat man darüber hinaus mit äußerst lästigen Problemen wie abgehackten Geräuschen zu kämpfen, was auf Dauer sehr unangenehm für die Ohren ist. Ein anderer, sehr frustrierender Fehler ist der so genannte "Speicherbug" - dieser tritt beim Versuch zu speichern zumeist nach längerer Spielzeit und öfterer Benutzung der Teleportsteine auf und führt zu einem Aufhängen des Spiels. Besonders schlimm daran: Weder wird der Spielstand gespeichert, noch kann man das angewählte Savegame danach noch verwenden. Hier kann man bisher nur durch regelmäßiges Speichern in verschiedenen Slots und diversen Quicksave-Watcher-Tools von Fans Abhilfe schaffen. Die beschriebenen Mängel beeinträchtigen das Spielerlebnis in nicht unerheblichem Maße und mindern den ansonsten sehr hohen Suchtfaktor. Die optische Seite: Von Grafik und Animationen Screenshots von "Gothic 3" haben schon lange vor dem Release für Begeisterung unter den Fans und der Fachpresse (Stichwort: Hype) gesorgt - aber auch für lange Gesichter bei jenen, die nicht über einen hochgerüsteten PC der nächsten Generation verfügen und die befürchten mussten, das Spiel allenfalls in Standbildern "genießen" zu können. In der Tat sieht der dritte Teil der Serie fantastisch aus - die Vegetation ebenso wie die Animationen der Tiere und die Mimik und Gestik der Gesprächspartner verleihen der Spielwelt Lebendigkeit und selbst das im Vorfeld sehr umstrittene neue Design der Orks passt zum Gesamtbild und sorgt für eine beispiellose Atmosphäre - typisches "Gothic"-Flair eben. Zwar kommt man nur mit Highend-Rechnern in den Genuss aller Effekte, doch auch Besitzer älterer Rechner erleben ein weitgehend ruckelfreies Spiel. Interessanterweise läuft "Gothic 3" übrigens auf mittlerer Detailstufe weitaus flüssiger als auf der niedrigsten. Die akustische Seite: Von Sounds und Rhythmen Das Gackern der Scavenger, das Quieken der Wildschweine, das Rascheln der Blätter, der Tonfall des Helden, die Wortwahl der NPCs - die Liste der gelungenen Sounds oder der großartigen Sprecher ließe sich fast beliebig verlängern. Insbesondere der Held klingt dank der Tatsache, dass er in allen drei Teilen vom selben Sprecher vertont wurde, vertraut - und cool noch dazu. Seine launigen Sprüche und ironischen Kommentare tragen ein Gutteil zur Atmosphäre des Spiels bei; schade nur, dass seine Mitstreiter Gorn, Diego, Lester und Milten so schrecklich wortkarg sind - man könnte meinen, sie hätten mehr zu erzählen nach der langen Überfahrt von Khorinis nach Myrtana. Aber vielleicht sind an Bord des Schiffes ja Dinge vorgefallen, über die sie lieber den Mantel des Schweigens breiten. Auch der Soundtrack weiß zu begeistern - von treibender Kampfmusik über hymnische Weisen bis hin zu düsteren Stücken ist die gesamte Palette menschlicher Emotionen vertreten - nicht zuletzt deshalb, weil die Entwickler (wie schon in "Gothic" mit In Extremo) auch dieses Mal wieder hochklassige Künstler wie Corvus Corax für das Spiel gewinnen konnten.
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