Neverwinter Nights 2 (Atari) geschrieben von René Hintz
| ||||||||||||||||||
Neues aus den vergessenen Reichen Setzten Bioware damals mit der "Baldur's Gate"-Saga einen Meilenstein der Spielegeschichte für klassische Rollenspiele im Singleplayer, so stellte später "Neverwinter Nights" aus dem Jahre 2002 definitiv das entsprechende Pendant im Multiplayer dar. Mit einem mächtigen Tool zum Erstellen von Modulen für neue Abenteuer im Internet machte es sich einen Namen und selbst heute noch erfreut sich eine beachtlich große Fangemeinschaft an zahlreichen Mehrspieler-Sitzungen in den berühmten Regionen Faerûns. Nun steht ein Nachfolger vor der Tür, doch wurde er nicht von Bioware selbst, sondern von Obsidian Entertainment geschaffen, die bereits - aufgrund starken Zeitmangels - den eher dürftigen Nachfolger zu "Star Wars: Knights of the Old Republic" produzierten. Diesmal wollen sie es besser machen, indem sie an alte klassische Tugenden des Vorgängers anknüpfen und im Vergleich zum ersten Teil eine wesentlich abwechslungsreichere Story für den Solopart zur Verfügung stellen möchten. Armes Niewinter Die vergessenen Reiche sind fürwahr ein heißes Pflaster, doch scheint es das Schicksal insbesondere mit der nördlichen Großstadt Niewinter einfach nicht gut zu meinen. Vor nicht allzu langer Zeit brach in der Metropole eine fürchterliche Pest aus. Drahtzieher dieser Misere war Morag, die Hohepriesterin der Schöpferrasse und Königin der Alten. Ihr Ziel war es, mithilfe der Seuche ihre Macht ins Unermessliche zu steigern, den sonst eisig frostigen Norden in einen tropischen Dschungel zu verwandeln und alle Rassen zu versklaven. Doch die böse Echsenfrau hatte die Rechnung ohne den namenlosen Helden aus "Neverwinter Nights" gemacht. Morag wurde für immer aus der Welt verbannt und die Stadt Niewinter konnte wieder aufatmen. Doch der Frieden sollte nur von kurzer Dauer sein, denn dem angeschlagenen Juwel des Nordens steht mit dem sogenannten Fürsten des Schattens erneut ein großes Übel bevor. Zu Beginn des Abenteuers weiß der neue namenlose Held nur wenig über die Geschehnisse. Nach einem mysteriösen Angriff auf sein verschlafenes Heimatdorf bittet ihn sein Ziehvater darum, sich auf die Suche nach Splittern eines seltsamen Kristalls zu machen. Alles klingt zu Beginn nicht sonderlich aufregend für den Spieler und man befürchtet eine eher langweilige Geschichte wie einst bei "Neverwinter Nights". Doch die Erzählung wird nach ihrem etwas lahmen Beginn zusehends spannender. Die Story wartet mit unvorhersehbaren Wendungen auf, und die Präsentation ist diesmal auch dank netter Zwischensequenzen, die mit der Engine dargestellt werden, wesentlich spektakulärer und abwechslungsreicher. Wer will ich sein? Zu Beginn des Spiels gilt es, sein Alter Ego zu erschaffen. Hierbei strotzt "Neverwinter Nights 2" ganz in der Tradition der klassischen Bioware-Rollenspiele, mit einer gewaltigen Palette an Rassen, Klassen und dementsprechenden Talenten. Gleichgültig, ob es ein durchtriebener Zwergenschurke oder ein edelmütiger Elfenmagier sein soll - für jeden Geschmack ist etwas dabei. Einsteiger werden durch die Vielfalt der gebotenen Möglichkeiten wahrhaftig erschlagen, können aber auch auf zahlreiche empfohlene Voreinstellungen bei der Charaktergenerierung zurückgreifen. Abgebrühte RPG-Profis hingegen werden sich an den mannigfaltigen Optionen erfreuen und ausgiebig in aller Ruhe jede einzelne Facette des Helden festlegen. Das äußere Erscheinungsbild des Protagonisten lässt sich zwar nicht so detailliert bestimmen wie beispielsweise in "Oblivion", jedoch hat man nun wesentlich reichhaltigere optische Bestimmungsmöglichkeiten als noch im ursprünglichen "Neverwinter Nights". Besonders interessant ist die Einbindung der Prestigeklassen, welche man bereits aus "Neverwinter Nights: Schatten von Undernzit" kennt. Hat man mit einer der zwölf Basisklassen eine gewisse Stufe erreicht, kann man optional in eine der siebzehn neu hinzugekommenen Prestigeklassen aufsteigen. Diese beinhalten nochmals übernatürliche und einzigartige Talente, besitzen aber diverse Grundvoraussetzungen, wie etwa bestimmte Fertigkeiten, Gesinnungen oder gar einen ganz speziellen Storyverlauf. Es darf wieder digital gewürfelt werden Nicht nur die Kreation der Charaktere, sondern auch das gesamte Kampfsystem beruht auf der Regelwerkversion 3.5 des altbekannten Pen-and-Paper-Rollenspiels "Dungeons & Dragons". Das wird während des Spielgeschehens dadurch deutlich, dass sämtliche Aktionen digital ausgewürfelt werden und die Regelmechanik jederzeit ausgelesen werden kann. Klingt alles kompliziert und schwer verständlich, doch macht "Neverwinter Nights 2" jedem Neuling das Regelwerk mit einem vorbildlichen Tutorial so nachvollziehbar wie möglich: In einem optionalen Vorkapitel werden in dem Heimatdorf Westhafen alle Grundprinzipien ausführlich erläutert, sei es nun der Umgang mit Magie oder das Handwerk eines Diebes. Trotz alledem spart das Spiel obligatorisch sehr stark an Bedienungskomfort. Die Menüführung erfordert viel Einarbeitung und auch die Handhabung der Kamera gestaltet sich als abenteuerlich, da man um der kompletten Übersicht willen ständig die Perspektiven wechseln muss. Viel Umfang auch auf längere Sicht Wer sich aber trotz dieser Unzulänglichkeiten nicht aus der Ruhe bringen lässt, wird an "Neverwinter Nights 2" lange Zeit Freude haben. Die Hauptkampagne gestaltet sich als langlebig und umfangreich. Ein besonderes Schmankerl ist die Gelegenheit, sich eine eigene Festung zuzulegen. Sie kann im Laufe des Spiels mit diversen Aufbesserungen oder eigenen Einheiten ausgerüstet und daraufhin gegen Angreifer taktisch verteidigt werden. Wer ausführlich die Welten erkunden möchte und sich auch mit der Erfüllung aller Nebenquests beschäftigt, wird gut und gerne mindestens 50 Stunden im Norden Faerûns zubringen. Allerdings wird man nur bedingt Lust haben, jede einzelne Ecke zu erkunden, denn unbedingt glaubhaft ist die Welt, nüchtern betrachtet, kaum. Die Landschaften sind allesamt in kleinere Abschnitte, besser bekannt unter dem Begriff Modul, aufgeteilt. So wirkt die Umgebung nicht wie aus einem Guss und traurigerweise lässt sich auch nur selten beim Schlendern durch die Areale etwas entdecken. Nichtsdestoweniger darf man sich abseits des Soloparts auch auf zahlreiche Partien im Mehrspielermodus freuen. Neben den bereits jetzt vorhandenen Möglichkeiten, sich im PvE- oder PvP-Modus auszutoben und neue Abenteuer zu erleben, wird es seitens der Fans - dem Construction-Tool sei Dank - wieder viele spannende und gut ausgearbeitete Module geben, die ausreichend neuen Stoff und monatelange Unterhaltung für "Neverwinter Nights 2" liefern werden. Die (dummen) Gefährten Hat man sich im ersten Abenteuer nur mit einem Kameraden gleichzeitig auf Wanderschaft begeben, so kann man nun in "Neverwinter Nights 2" sogar drei Reisebegleiter für sich gewinnen. Doch setzen Obsidian Entertainment dabei nicht nur auf Masse statt Klasse, indem sie die Größe der Party erweitern, sondern orientieren sich maßgeblich an "Baldur's Gate", was die Glaubwürdigkeit der Charaktere angeht. Gab es im Vorgänger nur eher sporadische Unterhaltungen mit den eigenen Söldnern, so kommt es nun mehrfach zu amüsanten Gesprächen innerhalb der Gruppe. Alle Personen besitzen eine eigene Ethik und individuelle Ziele oder Weltanschauungen, so dass in einem zusammengewürfelten Haufen immer wieder hörenswerte Debatten aufkommen. Ein rechtschaffender Kumpan wird dem Helden Moralpredigten halten, wenn er nach seiner Ansicht bei Quests verwerfliche Dinge getan hat, und böse Zeitgenossen beschweren sich lauthals darüber, wenn man überwiegend lieb ist und Gutes tut. Aufgrund dieser Eigenarten ihrer Gefährten, ist man stets bemüht, es allen recht zu machen. Das ist auch nötig, denn ein integriertes Einflusssystem entscheidet, ob ihre Gefährten für ihre Sache einstehen oder irgendwann Reißaus nehmen. Doch so lebhaft und quirlig die Mitstreiter auch sein mögen, so sind sie im gleichen Maße auch äußerst einfältig, was die KI betrifft. Es empfiehlt sich in der Regel und insbesondere bei herausfordernden Gefechten, den eingebauten Marionetten-Modus zu nutzen. Damit rühren die Partymitglieder weder einen Finger noch agieren sie automatisch und man selbst ist statt ihrer verpflichtet, jede Anweisung manuell zu erledigen. Andernfalls darf man sich immer wieder darüber aufregen, dass die eigenen Reisebegleiter hilflos an irgendwelchen Objekten hängen bleiben, kontraproduktiv Zaubersprüche verballern oder in einem plötzlichen Anfall von Selbstmordlust in sichtbare Fallen hineinspazieren. So gestaltet sich die Organisation als zeitweise sehr mühsames und lästiges Mikromanagement. Daher empfiehlt es sich, im Internet zu recherchieren, denn sowohl das KI-Verhalten, als auch das komplette GUI basiert auf editierbaren Scripts. Dadurch kann man sich mit ein paar guten Modifikationen eine Menge Frust und Arbeit ersparen, da die Gefährten somit wesentlich intelligenter handeln. Hungrige Klötzchen-Engine mit fehlender Liebe zum Detail Ursprünglich ausgestattet mit der bereits in "Neverwinter Nights" vorhandenen Aurora-Engine von Bioware, präsentiert sich nun der zweite Teil mit der von Obsidian Entertainment selbst entwickelten Electron-Engine. Diese gestaltet sich zwar nicht als so aufwendig wie beispielsweise die Optik von "Oblivion", ist aber trotzdem durchaus sehenswert. Mit auf dem Programm stehen beeindruckende Zaubereffekte, hoch aufgelöste Flora - der Speedtree-Technologie sei Dank - oder ansehnlich gestaltete Gebäude. Weniger hübsch sind dagegen die Charaktere. Deren Animationen sind für heutige Verhältnisse bestenfalls mittelmäßig und ihr Detailreichtum ist alles andere als opulent, so dass sie schlichtweg hässlich und unnatürlich aussehen. Die Entwickler haben sich die Kritik am Vorgänger zu Herzen genommen und versucht, die Welt so detailliert und liebevoll wie möglich zu gestalten. Dieses Vorhaben ist ihnen auch weitgehend gelungen, doch ist die größte Schwäche im Design von "Neverwinter Nights" nach wie vor das Baukastenprinzip, das sich einfach nicht übersehen lässt. Zwar wurden überall in der Umgebung zahlreiche Objekte platziert, um alles lebendiger wirken zu lassen, jedoch hinterlässt diese dennoch einen toten und sterilen Eindruck. Darüber hinaus ist es ein Ärgernis, dass die Engine horrende Anforderungen an die Hardware stellt und selbst Highend-Rechner ins Schwitzen bringt. Selbst auf einem hochaktuellen PC wird man mit maximalen Details immer wieder Ruckelorgien ertragen müssen. Um dem entgegenzuwirken, lässt sich die Optik problemlos herunterschrauben, jedoch sieht das grafische Spektakel anschließend wesentlich uninteressanter aus. Auch wenn man technisch mit der Zeit gehen muss, ist es bedauerlich, dass nun nicht mehr die typischen handgemalten 2D-Portraits als Avatare dienen. Stattdessen muss man sich mit unschönen 3D-Profilbildern zufriedengeben, die nicht so recht Atmosphäre aufkommen lassen wollen, da die Gesichter aller Charaktere für heutige Verhältnisse nicht sonderlich zeitgemäß aussehen. Jeremy Soule-Recycling und denglische Sprachausgabe Den Soundtrack zu "Neverwinter Nights 2" liefert diesmal nicht der renommierte Jeremy Soule, sondern er stammt von den beiden unbekannten Spielekomponisten David Gray Fraser und Neil Michael Goldberg, die mit neuen Musikstücken in bester Fantasymanier die Ohren beglücken wollen. Kein tragischer Verlust, denn Herr Soule leistet zwar in der Regel brillante Arbeit erster Güte, vollbringt aber gerade in letzter Zeit nur bedingt innovative Musikstücke. Die neuen Komponisten erfreuen den Zuhörer mit sehr schönen Neukompositionen, die sich an der Atmosphäre des Vorgängers orientieren und mit Leichtigkeit Faerûn-Feeling aufkommen lassen. Schade ist allerdings, dass bei der Musik anscheinend an Budget und Aufwand gespart werden sollte, denn in dem Score lassen sich sehr viele Lieder aus dem ersten Niewinter-Abenteuer wiederfinden und man vermisst generell inspirierende und einprägsame Themen. Die Sprachausgabe kann sich ebenfalls hören lassen. Erinnert man sich noch mit einem heftigen Stirnrunzeln an die sehr durchwachsene Lokalisation von "Neverwinter Nights", darf man nun ohne Grämen gespannt zuhören, hat man doch bei der Sprecherwahl gute Arbeit geleistet und auf solide Stimmen aus Hamburg zurückgegriffen. Im gleichen Atemzug sollte man allerdings erwähnen, dass man auf seinen Streifzügen rund um Niewinter nach wie vor sehr viel zu lesen hat, da nur die wichtigsten Dialoge und Zwischensequenzen vertont wurden. Ein schwerwiegender Bug im Spiel besteht darin, dass bei vielen Textpassagen eine deutsche Synchronbearbeitung vergessen wurde, so dass man immer wieder auf englische Sprachfetzen trifft. Abhilfe schafft da zurzeit nur ein Patch aus der Fan-Community, der sich diverser Sounddateien aus dem ersten Teil bedient.
|