Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt

Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt

(Anaconda)

geschrieben von Bernd Wolffgramm

 

 
Entwickler: House of Tales
Publisher: Anaconda
Genre: Adventure
Releasedate: Bereits erhältlich
Homepage: Overclocked
Preis: 27,97 €
Altersfreigabe: Freigegeben ab 16 Jahren gemäß §14 JuSchG

Der Hamburger Publisher dtp hat sich in Deutschland dadurch einen Namen gemacht, indem er mit seinem Label Anaconda hierzulande fast im Alleingang das Adventure-Genre am Leben gehalten hat. So vertreibt dtp auch die Spiele des Bremer Entwicklerstudios House of Tales, das die Abenteuer-Community in den letzten Jahren mit den Spielen "Das Geheimnis der Druiden" und "The Moment of Silence" bereichert hat, die durchweg gute Noten bekamen. Das neuste Game von House of Tales ist überraschenderweise von der Stimmung her ein leichtes, beschwingtes, fröhliches, helles und positives Spiel. Nein, das stimmt natürlich nicht, auch in "Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt" überwiegen dunkle Bilder, undurchsichtige Charaktere und es regnet die ganze Zeit über.

Wer ist hier der Patient?

David McNamara ist privat ein Psychopath. Beruflich ist er Psychologe. Wie man sich vorstellen kann, unterstützt die erste Aussage nicht gerade die zweite. Dennoch hat er Karriere gemacht; er war Armeepsychologe und arbeitet nun in seiner eigenen Praxis. Er gilt als fortschrittlich und in der Behandlung von "hoffnungslosen Fällen" als sehr erfolgreich. Die Veröffentlichungen seiner Praxisergebnisse haben ihn in Fachkreisen berühmt gemacht und so wird er dann auch von Washington nach New York gerufen, als dort zeitgleich fünf junge Menschen an verschiedenen Orten aufgefunden werden. Sie scheinen nichts miteinander zu tun zu haben, aber ihr äußeres Erscheinungsbild gleicht sich dann doch: Sie sind komplett desorientiert und unansprechbar, haben eine Waffe bei sich und ... sind alle nackt. Die fünf Jugendlichen werden in eine Klinik auf Staten Island, einer Insel südwestlich von Manhattan, gebracht und der bereits erwähnte Dr. David McNamara wird als Spezialist angefordert, um Zugang zu den fünf Patienten zu finden.

McNamara ist aber auch ein Mann, der viel mit sich selbst zu tun hat. In seiner Ehe kriselt es, denn wegen eines Ausrasters während einer Grillparty in seinem Haus kam es zu einem Unfall, bei dem seine Frau Kim einen großen Teil ihrer Sehfähigkeit einbüßte. Viele der Partygäste waren im Nachhinein der Meinung, dass es sich nicht um ein Versehen gehandelt habe, sondern McNamara gezielt versucht habe, seiner Frau zu schaden. Seit der Psychiater aus der Armee ausgetreten ist, leidet er unter Tobsuchtsanfällen. Auch in New York kann er sich dieser Probleme nicht entledigen, denn kaum im Hotel angekommen, teilt ihm seine Frau Kim mit, dass sie sich scheiden lassen will. Sie hat also die erste Abwesenheit ihres Mannes genutzt, um ihn zu verlassen.

David McNamara stürzt sich in die Arbeit und trifft zum einen auf sehr abweisendes Klinikpersonal, das ihm scheinbar überhaupt nicht bei der Problembeseitigung helfen will, und zum anderen auf fünf junge Menschen, eingesperrt in Einzelzellen, die kein Wort von sich geben. Die Aufgabe des Psychologen ist es nun, den Patienten ihre Erinnerungen zu entlocken und herauszufinden, wieso sie in diesem mitleiderregenden Zustand sind und ob es vielleicht einen Zusammenhang zwischen ihnen gibt. So beginnt eine Geschichte, in der Psychoanalyse, Polizeiarbeit, Geheimniskrämerei und auch Gewalt eine Rolle spielen.

Flashbacks

Da sich die fünf Patienten an gar nichts mehr erinnern, bedient sich der Psychiater einer rekursiven Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der Gefundenen. Auch wenn sich die Jugendlichen nicht mehr an den Beginn ihrer Odyssee erinnern, so gelingt es McNamara doch, einem Jungen ein Stück der Erinnerung aus der Zeit vor seinem Auffinden zu entlocken. Und hier eröffnet nun "Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt" ein neues Kapitel im Buch der Adventure-Spiele. Sobald es dem Psychologen gelungen ist, Bruchstücke der Geschichte aus den Patienten herauszuholen, wechselt das Game die Perspektive und nun steuert der Spieler den Patienten auf seinem Weg durch die wiederhergestellte Erinnerung. Hier hat der Proband nun genretypische Rätsel zu lösen ("Wie geht das Licht an?" oder "Wie kommt man durch den rotierenden Ventilator?") und man treibt die Handlung dann so weit voran, bis die Erinnerung des Patienten wieder abreißt und man wieder als McNamara weiterspielt.

Alle diese Erinnerungen werden von dem Psychologen aufgezeichnet. Und da das Spiel tatsächlich im November 2007 spielt, benutzt der Psychiater dazu natürlich kein Tonbandgerät mehr, sondern seinen PDA. McNamara hat längst die Vermutung, dass die Patienten etwas miteinander zu tun haben. Deswegen benutzt er nun die Erinnerung des einen Probanden, also die Aufzeichnung im PDA, um sie den anderen Jugendlichen vorzuspielen. Er hofft, damit deren eigene Erinnerungen zu "kitzeln" und so rekursiv die gesamte Geschichte wiederherzustellen. Der Spieler in der Haut des Psychologen begibt sich auf eine Reise zwischen den Zellen der Patienten und überlegt nach dem gerade abgehaltenen Gespräch immer, welchem anderen Patienten er seine Aufzeichnung vorspielen sollte, damit dann dieser wieder ein Puzzlestückchen preisgibt. Manchmal hilft es aber einfach auch nur, dem einzelnen Patienten seine eigenen Aufzeichnungen noch einmal vorzuspielen, sodass er sich manchmal daraufhin an mehr erinnert.

Für den Spieler heißt das, dass er alle paar Minuten in die Rolle eines der fünf Patienten und danach dann wieder in die Haut des Psychiaters schlüpft und dort durch das Lösen von Rätseln die Geschichte vorantreibt. Neben der Haupthandlung, die sich um die Entschlüsselung der verborgenen Gedanken der Patienten dreht, gibt es noch das Privatleben von David McNamara selbst, der sich im Verlauf der Geschichte in der Ferne der Kampfeslust seiner Ehefrau Kim ausgesetzt sieht, die seine Dienstreise benutzt, um ihn aus ihrem Leben zu verbannen.

Alle Gegenstände sind schon da

Viele Abenteuerspieler ärgert in fast allen Adventures, dass Gegenstände wahllos aufgenommen werden müssen, weil man sich ja nicht sicher sein kann, ob man das gerade gefundene Item nicht noch mal irgendwo braucht; zumeist ist das ja dann so. In "Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt" ist das vielfach anders. Zumindest beim Entspulen der Erinnerungen der Patienten erlebt der Spieler die Geschichte von hinten nach vorn. Das heißt, man weiß schon, was die Probanden in der folgenden Szene gemacht haben, schließlich hat man diese Sequenz schon erlebt. An einem Beispiel erklärt: Die Patientin Zwei wird in einer Szene auf einem Wachturm mit einem Messer die Schrauben an einem Steuerpult lösen. Deswegen hat sie bereits das Messer in ihrem Inventar. Da alle Erinnerungen rekursiv ablaufen, weiß der Spieler also in der Szene davor bereits, dass sie ein Messer benötigen wird, und packt es dann auch zielsicher automatisch ein, wenn sie in die Küche kommt. Natürlich verzichtet das Spiel nicht gänzlich auf das klassische Suchen von Gegenständen. Alle Handlungen, die außerhalb der Erinnerungen der Patienten stattfinden, zum Beispiel wenn andere Personen um etwas gebeten werden müssen, oder aber der komplette Handlungsstrang, der das Privatleben von McNamara betrifft, verzichtet nicht auf das Aufnehmen, Suchen und Kombinieren von Gegenständen.

Personen, Rätsel und Handlung

Die Handlung des Spiels verteilt sich über sechs Tage, in denen McNamara die Erinnerungen seiner Patienten "kreuzt". Jeder Tag ist dabei noch in die Zeitzonen Vormittag, Nachmittag und Abend aufgeteilt. Der Ablauf der Tage ist immer ähnlich: Morgens befragt der Psychologe seine Patienten, nachmittags ermittelt er mithilfe anderer Personen im Umfeld und abends kümmert er sich um sein Privatleben. Neben den Personen in der Klinik begegnet McNamara vor allem auf den Polizeiermittler Moretti. Er besorgt die Informationen, die die Erinnerungen der Zelleninsassen bestätigen oder widerlegen. Moretti ist lange Zeit quasi der einzige Freund, den der Psychiater hat. Sein langjähriger Kumpel, den McNamara jeden Morgen und Abend anruft, um ihn immer wieder zu bitten, doch zwischen ihm und seiner Frau zu vermitteln, begeht Fahnenflucht und schlägt sich auf die Seite seiner Frau. Die weiteren wichtigen NPCs sind die eben schon erwähnten Dr. Young und Tamara, die Krankenschwester. Dr. Young ist von Anfang an nicht bereit, McNamara zu helfen, weil er beleidigt ist, dass für diese interessanten Fälle ein externer Kollege den Vorzug bekommen hat. Diese schlechte Laune überträgt sich auch auf Tamara, die vermeintlich eine Affäre mit Dr. Young unterhält und das somit der Grund ist, warum sie zum Klinikleiter hält. Vielleicht hat sie aber nur Angst um ihren Job.

Die Rätsel sind eher leicht; um die Handlung voranzutreiben, ist es eigentlich nur notwendig, den verschiedenen Patienten die mit dem PDA aufgezeichneten Gespräche der anderen Zelleninsassen vorzuspielen und zu warten, ob diese eine Reaktion - sprich eine weitere Erinnerung - hervorrufen. In den Sequenzen, in denen der Spieler dann die Probanden spielt, muss man sich eigentlich immer nur am Inventar orientieren und sich überlegen: Wo hat der- oder diejenige das wohl her? Und wenn man mal vergessen hat, was zu tun ist, dann kann man sich die Aufzeichnungen der Gespräche jederzeit anhören. Der einzige, bei dem man etwas mehr kombinieren muss, ist McNamara selbst. Aber sobald es um sein Privatleben geht, kann man immer zum PDA greifen und jemanden anrufen, da macht man nichts falsch.

Da sich House of Tales daran gewagt hat, die Erinnerungen der Patienten von hinten aufzuzäumen und so fünf Parallelgeschichten, die natürlich - da verrät man nicht zu viel, das erwartet sowieso jeder - miteinander zu tun haben, zu entwickeln, besteht natürlich die Gefahr, dass die Storyteile nicht logisch zusammenpassen. In "Overclocked" ist alles soweit schlüssig, nur fragt man sich zum Beispiel: Wieso baut einer der fünf Patienten langwierig einen Sprengsatz, um aus seinem Internierungslager zu entfliehen, während die anderen vier einfach über den Zaun klettern? Aber solche Kleinigkeiten stören die spannende Geschichte kaum. Hat man erst mal einen Einstieg in die Erinnerungserweckung gefunden, dann kann man schnell der Story folgen und ist fasziniert von den Patientenwerdegängen. Die Persönlichkeiten der Fünf könnten unterschiedlicher nicht sein, weswegen sich sich auch jede Patientin beziehungsweise jeder Patient anders verhält; das macht die Handlung interessant. Die Anforderungen an den Spieler steigen mit dem Fortschritt im Wochenablauf; sind Montag und Dienstag noch als leicht zu bezeichnen, können Mittwoch und Donnerstag schon als knackig gelten und der Freitag dann als leicht. Und hier gibt es dann vielleicht die größte Kritik an der Aufbereitung der Story zu vermelden: Auf dem Höhepunkt der Geschichte übernehmen Filmsequenzen einen Großteil der Handlung und man hat eher das Gefühl, man sitzt in einem interaktiven Kino als vor einem Computerspiel. So ein klein wenig hat man das Gefühl, dass nun das Ende schnell erzwungen werden soll. Eigentlich schade, denn bis zum letzten Tag gibt es zwar auch jede Menge Videoeinspieler, aber die dekorieren allenfalls die Handlung.

Grafik und Sound

Kein Mensch weiß, wieso Leute, die Adventure-Spiele testen, mit der Bewertung der Grafik immer so nachsichtig umgehen. Würde ein Egoshooter mit derart mittelmäßigen Animationen daherkommen wie "Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt", würde er trotz vielleicht bester Gegner-KI nur unter "Ferner liefen ..." wegkommen. Bei Adventures ist das irgendwie anders, da haben Tester immer im Hinterkopf, dass dort irgendwelche armen Kerle und "Kerlinnen" in Kellern sitzen und dafür sorgen, dass das Genre nicht ausstirbt. Und das natürlich unter widrigsten Umständen: keine Fenster, kaum Nahrung und nur 40-Watt-Birnen in den Schreibtischlampen. Diese bemitleidenswerten Kreaturen müssen sich irgendeine frei verfügbare Engine zurechtbasteln und deswegen darf man da mit der Beurteilung nicht so streng sein. In ganz vielen Testberichten kann man das zwischen den Zeilen herauslesen. In diesem Bericht steht es klar drin: Die Hintergrundbilder sind klasse, die Figuren darin schwach; sobald sie sich bewegen, hat das oft nichts mehr mit menschlicher Motorik zu tun. Außerdem ärgert man sich teilweise über die immer wiederkehrenden Sequenzen. So ruft zum Beispiel McNamara während des gesamten Spiels ein Dutzend Mal seinen Kumpel und Anwalt Terry Ingram an, der zu jeder Tageszeit immer an derselben Stelle steht, das gleiche langweilig gelbe Sacco anhat und nie eine Miene verzieht.

Auch beim Sound ist das Urteil zwiespältig. Man hat das ganze Spiel über das Gefühl, als ob da immer ein falsch abgemischter Ton zu hören ist und dass die Sprachausgabe gegenüber den Hintergrundgeräuschen zu leise ist. Dafür ist die Sprachinszenierung aber perfekt. Alle Sprecher klingen authentisch und unterstützen durch ihre gekonnte Synchronisation die Handlung und Spannung. In einer Psychologe-Patient-Beziehung wird sehr viel gesprochen, doch trotz der ab und zu mal ausufernden Konversationen wird es dem Spieler nie langweilig.

Ich habe "Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt" durchge-keller-t. Weil ich schnell kapiert hatte, wie der Hase läuft, wollte ich flott weiterkommen, um die spannende Geschichte mitzuverfolgen. Ich würde sagen, es hat mich so zehn Stunden gekostet, bis ich am Ende des Spiels angekommen war und die meiste Zeit davon war es wirklich spannend. Was kann man über ein Adventure besseres sagen? Vielleicht noch, dass die Synchronisation weltklasse ist. Über die Mängel, vor allem bei den Animationen, habe ich im Test geschrieben, aber darüber kann man bei einer Kaufentscheidung wohl doch hinwegsehen. Obwohl ich genau das im Test angeprangert habe, ist die Grafik eben nicht das Entscheidende bei einem Adventure. Niemand kauft sich ein Abenteuerspiel, um die Grafikkarte mal im Volllastmodus zu testen. Aber ein paar mehr Investitionen in die Grafik hätten auch bei diesem Click-and-Point-Adventure nicht geschadet.

(23.11.2007)

Minimale

- PC mit Pentium / AMD Prozessor mit 1,3Ghz

- 1,5GB freier Festplattenspeicher

- Windows 2000/XP/Vista

- 256 MB RAM (Windows XP/2000), 512 MB RAM (Vista)

- Grafikkarte mit ShaderModel 1.1

- Soundkarte

- DVD-ROM Laufwerk

- Maus und Tastatur

Kommentare:
Der Kommentar wurde gespeichert!
The Captcha element applies the Captcha validation, which uses reCaptcha's anti-bot service to reduce spam submissions.

Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt
Overclocked - Eine Geschichte über Gewalt